ORFEO International – Pressetexte

Wichtige Veröffentlichungen kurz vorgestellt

August 2010

ORFEO 13 CD C 809 113 R

Der Ring des Nibelungen

Nur ein Jahr lang ist er bei den Bayreuther Festspielen aufgetreten: Clemens Krauss, Dirigent mehrerer Richard-Strauss-Uraufführungen und auf dem Höhepunkt seiner Karriere federführend an der Bayerischen und der Wiener Staatsoper sowie bei den Salzburger Festspielen. C 809 113 R
C 809 113 R
Den Stellenwert von Krauss’ Dirigat vom Ring des Nibelungen 1953 umreißt eine Äußerung des Regisseurs Wieland Wagner, der über die Tempowahl von Krauss beim Walkürenritt gesagt haben soll, genau so habe er ihn sich immer vorgestellt und gewünscht. Freilich nicht nur hinsichtlich der Tempi, auch was die sonstige spannungs- und energiegeladene Disposition des Maestro zwischen Bühne und „mystischem Abgrund“ anbelangt, sollte dieser erste Ring unter Krauss Ausgangspunkt einer Ära sein. Dass es nicht dazu kam, ist der Tragik von Krauss’ plötzlichem Tod in Mexiko im Frühjahr 1954 geschuldet. Dort absolvierte Clemens Krauss gerade eine Konzertreise – die glanzvolle Fortsetzung seiner internationalen Karriere bald nach dem Zweiten Weltkrieg war kurz zuvor getrübt worden, als Krauss der angestrebte Posten des Direktors der Wiener Staatsoper zugunsten Karl Böhm verwehrt blieb. Frei von Missklängen war die Arbeit von Clemens Krauss mit dem Sängerensemble der Bayreuther Festspiele, das im dritten Jahr seit der Wiedereröffnung nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal neu durchgemischt und an einigen wichtigen Positionen verjüngt worden war. So sang Wolfgang Windgassen, nach seinem Festspiel-Debüt als Parsifal und junger Gott Froh im Rheingold, 1953 erstmals die beiden Siegfried-Partien, in denen er sich kontinuierlich bis zum 3. Aufzug der Götterdämmerung zur Höchstform steigerte und so in den folgenden Jahren auf die Rolle festgelegt blieb. Sein Nachfolger als Froh, Gerhard Stolze, schickte sich damals mit kraftvoller Tongebung und klarer Artikulation noch an, auf gleichfalls heldischen Spuren zu wandeln. Noch wenige Jahre später kursierten Gerüchte, er wäre auch Wolfgang Windgassens Nachfolger als Tristan. Letztlich wurden doch die schillernden Figuren des Charakterfachs, David, Loge und Mime zu seiner Domäne. In der letztgenannten Rolle war Paul Kuën zweifelsohne, von München bis an die Metropolitan Opera, sein meistgefragter Vorgänger – und eben auch in Bayreuth, wo er sich mit Breite, Joseph Keilberths kammerspielhafter Transparenz und eben Krauss’ vorwärtsdrängender Impulsivität zurechtfand. Ähnliches gilt für Gustav Neidlinger als Alberich, dessen monolithische stimmliche Präsenz und Ausdrucksgewalt auch hier kaum zu übertreffen sind. Vorstellung des "Ring" bei der Pressekonferenz am 28.7.2010 in Bayreuth
Vorstellung des "Ring" bei der Pressekonferenz am 28.7.2010 in Bayreuth
Foto: Pressearchiv der Bayreuther Festspiele
Als sein Bühnensohn Hagen in der Götterdämmerung krönte Josef Greindl für sich persönlich eine Festspielsaison, an der er als König Heinrich in der Eröffnungspremiere von Lohengrin ebenso entscheidend mitwirkte wie an den vorangegangenen Ring-Abenden als Fafner und Hunding. Und nach einem Jahr Anlauf war auch Hans Hotter zu einer regelrechten Institution auf dem Grünen Hügel geworden. Sein Wotan unter Clemens Krauss knüpfte gleich an drei gemeinsame Strauss-Opernweltpremieren an: Friedenstag, Capriccio und Die Liebe der Danae. Wie in diesen drei Werken vereinte Hotter – mit Krauss am Pult – Autorität und Poesie, „göttliche Aura“ mit psychologischer Feinzeichnung, auch menschlicher Schwächen. Ihn als Göttergattin Fricka auf diese hinzuweisen bzw. als Waltraute von ihnen zu berichten, oblag unter Krauss Ira Malaniuk, die spätestens nach ihrem Einspringen als Fricka ein Jahr zuvor mit ihrem wohltönenden Mezzosopran zur festen Größe auf dem Grünen Hügel avanciert war. Dass Regina Resnik ihr später als Fricka nachfolgen sollte, hätte 1953 wohl ebenfalls noch kaum jemand vermutet. Pressekonferenz am 28.8.2010 in Bayreuth
Pressekonferenz am 28.7.2010 in Bayreuth
Foto: Pressearchiv der Bayreuther Festspiele
Damals war diese legendäre Sängerin (insbesondere der großen US-amerikanischen Opernhäuser) noch vollkommen im Sopranfach beheimatet, naturgemäß bereits mit einer sinnlichen, dunklen Färbung. Als Zwillingsschwester passte sie so vor allem akustisch ideal zum einstigen Bariton Ramón Vinay, der sich ein Jahr nach seinem sensationellen Debüt als Tristan auf dem Grünen Hügel nicht schonte und zusätzlich zu der mörderischen Rolle auch noch als Parsifal und Siegmund für Furore sorgte. Als Isolde war Astrid Varnay eine seiner beiden Partnerinnen des Sommers, die sich ‚nebenbei’ als Ortrud und als Brünnhilde wohl endgültig als flexibelster hochdramatischer Sopran ihrer Generation profilierte. Dass dies nicht um den Preis vokaler Gleichmacherei geschah, macht unter Krauss einmal mehr die Verwandlung von der „Wunschmaid“ der Walküre zur Weltenerlöserin der Götterdämmerung deutlich, die außer ihr wohl kaum eine so zum Ereignis werden ließ. Dass die Bayreuther Sommermonate diesbezüglich kein Wettkampf oder ‚Schaulaufen’, sondern eine tatsächliche Ensemblearbeit waren, belegt auch immer von Neuem der Totaleinsatz von Künstlern wie Ludwig Weber, der bei einer Mehrfachbelastung als Gurnemanz, König Marke und Solist in Beethovens 9. Symphonie unter Paul Hindemith im Jahr 1953 auch einen hinreißend sensibel gezeichneten Riesen Fasolt porträtierte; oder Hermann Uhde, der nach einem Jahr als „Steigbügelhalter“ für Hans Hotter als Rheingold-Wotan eine Luxusbesetzung als Donner und Gunther abgab (und im Lohengrin als Telramund brillierte). Dass Kabinettstückchen wie Erich Wittes wendiger Loge, Natalie Hinsch-Gröndahls mit vergleichbar raffinierter musikalischer Rhetorik agierende Gutrune oder Rita Streichs springlebendiges Waldvöglein eine kürzere ‚Laufzeit’ im Bayreuther Festspielhaus beschieden war, lässt dagegen allenfalls bedauern, dass nicht allen Sänger- und Stimmtypen bei den Richard-Wagner-Festspielen der gleiche Entwicklungsspielraum eingeräumt werden kann. Umso bemerkenswerter, wie geschlossen die Vorstellungen unter Clemens Krauss im ersten und eben einzigen Jahr des Dirigenten bei den Bayreuther Festspielen geraten sind. Kaum zu glauben, dass die klangliche Balance Krauss auf Anhieb so glückte, wie sie aus dem verdeckten Orchestergraben hinauftönte – und nun endlich unverschattet von der originalen Bandquelle auf CD gelangt ist. Und umso leichter zu verschmerzen, dass seinen straffen Tempi und mal filigran federnden, mal machtvoll malmenden Akzenten hier und da die Feinabstimmung mit der Bühne Tribut zollen musste. Die Lebendigkeit des theatralen Mitschnitts wird dadurch nur erhöht und es ist gar nicht auszudenken, ob eine vollkommene Aufführung dieses Rings die Leute nicht um den Verstand gebracht hätte. Dass Krauss indes nur jenen Sommer 1953 zur Gestaltung seiner Klangvision von Wagners Musikdramen ‚am geweihten Ort’ hatte, bleibt im Sinne der „Werkstatt Bayreuth“ überaus beklagenswert.

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