ORFEO International – Pressetexte

Wichtige Veröffentlichungen kurz vorgestellt

April 2006

ORFEO 1 CD C 677 061 A

Meisterschaft in harmonischer wie formaler Gestaltung

Der aus Böhmen stammende
Kalliwoda (1801–1866) war kein Neuerer der sinfonischen Form wie etwa seine nur unwesentlich jüngeren Kollegen Berlioz, Mendelssohn oder Schumann. Er ließ sich aber auch keineswegs vom übermächtigen Schatten Beethovens einschüchtern, als er sich an diese Form heranwagte. Allein schon der Beginn der fünften Sinfonie in h-Moll op. 106, das sich steigernde Einsetzen der Instrumente zu einer dahinfließenden Kantilene, die mit Horn- und Trompetensignalen kontrastiert, ist ebenso originell wie zwingend. Tänzerisch, fließend und nahezu heiter erscheint die Sinfonie in ihrer Gesamterscheinung. Alle Sätze sind bis auf die Lento-Einleitung des Kopfsatzes im Allegro-Bereich gehalten, wodurch eine starke formale Dichte entsteht. Kraftvoll und selbstbewusst treten die Themen auf, um dann mittels exzellenter orchestraler Gestaltung durchgeführt zu werden. Dabei macht sich Kalliwoda besonders den klanglichen Kontrast zwischen Streichern und Bläsern zunutze, um vor allem die Seitenthemen mit ungebremster Dynamik herauszustellen. Eine wohl typisch böhmische Eigenart, die durch entsprechend volkstümlich anmutende Melodik noch verstärkt wird.

Besonders deutlich hörbar werden solche Details in historischer Aufführungspraxis auf Originalinstrumenten, die sich mittlerweile auch für die Musik der Romantik als überaus erhellend erwiesen hat. Es sind lange Zeit unterschätzte und vernachlässigte Komponisten wie Kalliwoda, zu deren verdienter Renaissance eine Einspielung maßgeblich beiträgt, wie sie die Hofkapelle Stuttgart jetzt unter ihrem Dirigenten Frieder

Bernius vorlegt. Mit kräftigen Klangfarben, hoher Flexibilität in der Dynamik und größter Selbstverständlichkeit bei der Berücksichtigung der stilistischen Eigenheiten Kalliwodas werden die Qualitäten seiner Sinfonien bereits beim ersten Hören offensichtlich. Die an Pointen reiche Komposition beider Werke regt Frieder Bernius und die Hofkapelle Stuttgart zu einer wohl akzentuierten und phrasierten Darbietung an, die von der bereits erwähnten Verwendung originaler Instrumente stark begünstigt ist. Seit seiner Gründung durch Frieder Bernius im Jahr 1985 hat das Instrumental-Ensemble als Barockorchester Stuttgart mit Werken von Jean-Philippe Rameau, Niccolò Jommeli oder Johann Gottlieb Naumann immer wieder Aufsehen bei zahlreichen internationalen Musikfestivals und mit preisgekrönten Einspielungen erregt.

Unter dem Namen Hofkapelle Stuttgart arbeitet das Orchester gemeinsam mit Frieder Bernius konsequent an der Erweiterung seines Repertoires um Kompositionen des 19. Jahrhunderts. Ihre Erkenntnisse über die technischen und artikulatorischen Besonderheiten der Musik des 18. Jahrhunderts erweisen sich gerade dort als wertvoll, wo man weniger den Bruch als vielmehr die Kontinuität in der Musikgeschichte, beispielsweise zwischen Haydn und Beethoven, sieht. So stellen die 44 Musiker der Hofkapelle Stuttgart in den Sinfonien Kalliwodas ihre ganze Spielfertigkeit und ihre enormen Erfahrungswerte unter Beweis, die sie sich in allen Instrumentengruppen als führende Spezialisten für historische Aufführungspraxis erworben haben. Sie arbeiten das prägnante Klangbild und die formale Konzeption beider Kalliwoda-Sinfonien deutlich heraus. Es bleibt nur zu wünschen, dass die Wiederentdeckung von Johann Wenzeslaus Kalliwoda nicht auf Tonträger beschränkt bleibt, sondern sich auch im Konzertsaal rege fortsetzt.

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