ORFEO International – Pressetexte

Wichtige Veröffentlichungen kurz vorgestellt

März 2017

Mozart | Widmann | Mendelssohn

Die zweite Folge der Auseinandersetzung von Jörg Widmann und dem „Irish Chamber Orchestra“ mit den Symphonien Mendelssohns befasst sich, passend zum Reformations-Jubiläumsjahr, mit der sogenannten fünften, in Wahrheit chronologisch zweiten. C 921 171
C 921 171
Ursprünglich für die 300-Jahr-Feier der reformatorischen „Augsburger Konfession“ von 1530 gedacht, schien sich 1832 eine vielversprechende Premiere mit dem maßstabsetzenden Orchester der damaligen musikalischen Welt zu ergeben, dem Orchester des Pariser Konservatoriums unter Habeneck. Doch die Probenarbeit geriet zum Desaster, das Orchester lehnte das Stück ab und die Uraufführung kam nicht zustande – eine schockierende Erfahrung für das 23-jährige ehemalige Wunderkind. – Im nächsten Jahr bewarb sich der geniale Komponist nach dem Tod seines Mentors Zelter völlig berechtigt und auf Zuraten zahlreicher Freunde für dessen Nachfolge als Direktor der Berliner Singakademie – die epochemachende Wiederaufführung der Matthäus-Passion unter seiner Leitung an dieser Stelle lag da vier Jahre zurück. Seine Bewerbung verband der Komponist mit drei Konzerten, in denen er u.a. die gründlich revidierte „Symphonie zur Feier der Kirchen-Revolution“ zur Uraufführung brachte. Daß die Bewerbung letztlich scheiterte, war für den jungen, in seinem Bekenntnis-Idealismus durchaus verletzlichen Komponisten traumatisch und nicht von seinem zweiten großen Symphonie-Versuch zu trennen – er wollte danach von dem Werk nichts mehr wissen, veröffentlicht wurde es erst mehr als 20 Jahre nach seinem Tod 1868 von seinem Sohn Paul unter der posthumen Opus-Zahl 107.

Die Einschätzung des musikalischen Rangs steht heute selbstverständlich auf einem ganz anderen Blatt. Die Formulierungen, die uns durch den Bericht des Mendelssohn-Freundes Hiller von der scheiternden Pariser Probenarbeit überliefert sind – “es sei gar zu scholastisch [...] zu viele Fugatos, zu wenig Melodie‘ u. dergl. mehr” – gereichen von heute aus gesehen mehr dem Komponisten als den überforderten Orchestermusikern zur Ehre. Und unsere obsessiv zwischen Überwindung und Wiedererwachen von nationalen, kulturellen und religiösen Identitäten hin und her gerissene Zeit muß von Mendelssohns komplexem (nicht nur) ästhetischen Experiment in einem Zeitalter zwischen Revolution und Restauration – noch dazu in historisch-vermitteltem Rückbezug auf die Reformation – fasziniert sein. Dafür bieten mehr als genügend Stoff die durchaus gewagten und ergiebigen formalen Züge des Werkes, von der anfänglichen Konfrontierung kunstvoll kanonisch ausgearbeiteter katholischer Psalmodie-Intonation mit reformatorischem Bläserchoral über das bei Wagner und Bruckner wiederkehrende “Dresdner Amen” bis zur Überblendung von Sonatensatz und Choralvariation im Schlusssatz.

Für einen Vertrauten technischer wie ästhetischer Dimensionen des Komponierens wie Jörg Widmann war es reizvoll, dem historisch bewussten komplexen Experiment des reif gewordenen Wunderkinds Mendelssohn ein früheres Mozarts an die Seite zu stellen – und zwar dessen höchst pathetische, kompositorisch geballte Antwort auf die Bekanntschaft mit dem Bach’schen Fugenschaffen, die ihm Baron von Swieten in den 1780er Jahren in Wien vermittelte – die für Streichquartett um ein leidenschaftliches Adagio erweiterte c-Moll-Fuge für zwei Klaviere, hier für Streichorchester.

Und für dieselbe Besetzung und um Oboe und zwei Fagotte entscheidend erweitert in Ersteinspielung die Umarbeitung von Widmanns eigenem fünften Streichquartett (mit Sopran), dem “Versuch über die Fuge” von 2005, seinem seiner eigenen Einschätzung nach wahrscheinlich strengsten Stück in der Tradition der “gelehrten”, “künstlichen” fugierten Quartette Haydns und Mozarts, das zugleich die Gattungsgeschichte reflektiert und dekonstruiert.

Schließlich erfüllt sich, dem Orchester, allen Klarinettisten und Hörern der Hörer, Instrumentalist, Dirigent und Komponist Widmann den Wunsch, eines seiner Lieblingsstücke des 15-jährigen Mendelssohn für Klarinette und Klavier zu instrumentieren: das Andante aus der Sonate Es-Dur von 1824, hier, ebenfalls in Ersteinspielung, nunmehr für Klarinette, Streichorchester, Harfe und Celesta, eine – so der Bearbeiter – “Wunder-Musik”.

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